Wissensmanagement wird mit der ISO 9001:2015 Bestandteil des QM-Systems. Der Umgang mit Wissen ist in der Unternehmenslandschaft sehr unterschiedlich. Die einen haben bezüglich Schulungen und Know-How ein verändertes Verhalten an den Tag gelegt: Wurden einst Schulungen bevorzugt nicht bewilligt (meist aus Kostengründen), werden nun Budgets für Fortbildungen vorgesehen. Die anderen legen Wert auf gezielte Fortbildung und Mitarbeiter durchlaufen ein Schulungsprogramm.
Schulungspflicht = Freud oder Leid?
Es gibt auch absurde Effekte aufgrund von Regelungen: „Jeder ist verpflichtet, an zwei Schulungen pro Jahr teilzunehmen und kann diese aus einem angebotenen Programm auswählen.“ Das klingt zunächst positiv. Was ist jedoch, wenn es sich um einen Katalog handelt, der als Standardrepertoire eines großen Anbieters immer und immer genutzt wird? Dann sitzt irgendwann der Mitarbeiter aus der Fertigung (seit mehr als 10 Jahren im Unternehmen) im Seminar „Bilanzen lesen“, weil er alle relevanten Themen inklusive der Rhetorikseminare schon abgegrast hat. Es fehlt oftmals trotz gutem Willen an Systematik.
„Kompetenz“ ist in aller Munde
Warum ist Wissen für Unternehmen eigentlich wichtig? Es geht jetzt nicht um Patente und Rezepte, sondern tatsächlich um das erworbene Know-how. Es gibt einen schönen Satz in den 8 Grundsätzen des Qualitätsmanagements: Auf allen Ebenen machen Personen das Wesen der Organisation aus… (ISO 9000:2005). Alle Prozesse stehen und fallen mit den Teammitgliedern. Dementsprechend ist deren Kompetenz gefragt.
Sehr regelmäßig frage ich Kursteilnehmer, was unter Kompetenz zu verstehen ist. Die ISO 9000 definiert den Begriff als „dargelegte Eignung, Wissen und Fertigkeiten anzuwenden“. Mir ist die Definition zu abstrakt, ähnlich wie der Begriff Kompetenz selbst. Daher gehe ich gerne zu folgender Erklärung über: Kompetenz setzt sich zusammen aus dem gelernten Beruf/Studium, zusätzlichen Fort- und Weiterbildungen und persönlichen Fähigkeiten. Dazu kommt noch Erfahrung. Die meisten erklären Erfahrung mit einer Anzahl von Jahren, in denen man zum Beispiel einen Beruf ausgeübt hat. Allerdings ist die Summe der Jahre nur halb so viel Wert, wenn derjenige nicht in der Lage ist, seine Erlebnisse zu reflektieren. Selbstreflexion halte ich für einen wesentlichen Bestandteil von Erfahrung und somit von Kompetenz. Anders kann ich mir jedenfalls die Summe der über 40-jährigen nicht erklären, die regelmäßig die gleichen Fehler machen.
Know-how wandert anstatt zu bleiben
Es gibt diverse Bemühungen von Unternehmen, Wissen zum Eigentum zu machen. Allerdings ist es eine schwierige Angelegenheit, denn es steckt in den Köpfen der Mitarbeitenden. Somit leidet das unternehmerische Wissen durch Abwanderung. Klassische Situationen:
- Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen verlassen das Unternehmen aus persönlichen Gründen. Die Einarbeitung einer Nachfolge scheitert an der späten Auswahl.
- Menschen werden aus unterschiedlichen Gründen entlassen. Ihre Motivation andere einzuarbeiten ist gering. Die verbleibende Zeit wird zu selten für eine Übergabe genutzt, da „schlechte Stimmung“ befürchtet wird.
- Personen machen im eigenen Unternehmen Karriere. Sie steigen auf, wechseln vielleicht sogar den Standort. Es existiert das trügerische Gefühl, das Wissen bleibe im Unternehmen. Das ist jedoch nur der Fall, wenn am alten Arbeitsplatz eine Übergabe stattfindet. Oftmals wissen Nachfolger*innen noch nicht einmal, woran der/die Kolleg*in zuletzt gearbeitet hat und rollt die Arbeitsfelder – zum Leidwesen der Kolleg*innen – neu auf.
- Erfahrene gehen in den Ruhestand und hinterlassen eine große Lücke. Das Phänomen ist als „demografischer Wandel“ bekannt. Es gibt zu selten funktionierende Konzepte, in denen erfahrene Personen ihrer Nachfolge Wissen anvertraut. Dabei ist besonders diese Variante sehr gut planbar.
Wissen mit Systematik
Welche Potentiale stecken in Ihrem Unternehmen? Haben Sie einen Überblick über vorhandene Qualifikationen, Fortbildungen und persönliche Fähigkeiten? Systematik lässt sich am besten aufbauen, wenn man beim Status Quo beginnt. In diesem Punkt wünsche ich mir die Unterstützung von vorhandenen Betriebsräten. Leider wird oftmals aus internen politischen Gründen die Erhebung der Informationen mit dem Hinweis auf Datenschutz unterbunden.
Ein Unternehmen kann jedoch nur Wissen sichern und aufbauen, wenn eine Grundlage gegeben ist. Letztlich kommt dies der Sicherung von Arbeitsplätzen zu Gute.
Bezüglich Lessons Learned treffe ich inzwischen auf unterschiedliche Aussagen: Die einen beklagen, dass dafür zu wenig bis keine Zeit eingeplant wird. Die anderen beklagen, dass zwar Wissen gesammelt, aber nicht verfügbar gemacht wird. Es kann nicht an mangelnden Ideen oder Möglichkeiten liegen.
Der Blick in die Zukunft ist in manchen Branchen kalkulierbar in anderen jedoch eher mit einer Glaskugel verbunden. Dennoch sollten Sie sich mit der Strategie Ihres Unternehmens befassen, um zu erkennen welches Wissen notwendig wird. Ich erinnere mich an die Zeit als App-Programmierer verzweifelt gesucht wurden.
Wissen im Qualitätsmanagement
Mit der Revision 2015 kommen Anforderungen auf Unternehmen zu, die über die bisherigen Forderungen nach Schulungsplanung und Wirksamkeitskontrolle hinausgehen. Die Zuständigkeit siedele ich in der Personalentwicklung an, wobei die Zusammenarbeit mit allen Bereichen wichtig ist. Technische Lösungen sind eine Hilfe, werden jedoch ohne Konzept nicht funktionieren.
Möglicherweise müssen manche Unternehmen ihr Wissen auffrischen, was systematische Personalentwicklung angeht. Das wäre ein sinnvoller Schritt. Das ist nicht nur lohnenswert, sondern wird für zertifizierte Unternehmen zur Pflicht. Es ist absehbar, dass die ISO 9001:2015 folgendes fordern wird:
- Für das Erreichen der Anforderungen notwendiges Wissen feststellen.
- Festlegen, wie das notwendige Wissen vermittelt wird.
- Feststellen, welches Wissen notwendig werden könnte.
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Vielen Kollegen fällt es schwer, den gedanklichen Ansatz des Wissens der Organisation (7.1.6) von der Kompetenz der Mitarbeiter (7.2) zu trennen. Zum spezifischen Wissen der Organisation wird immer wieder auf Stellenbeschreibungen und Schulungspläne verwiesen. Diese sind jedoch ausschlaggebend für das personengebundene Wissen. Anhang A.7 der ISO 9001:2015 betont jedoch die Notwendigkeit, den spezifischen Wissensstand zu bestimmen und zu steuern, der von der Organisation aufrechterhalten wird, um die Durchführung ihrer Prozesse sicherzustellen und dass sie die Konformität der Produkte und Dienstleistungen erreichen kann. Das meint vor allem, dass dieses Wissen für die Organisation unabhängig von Einzelpersonen verfügbar sein muss, etwa zum Schutz der Organisation vor Wissensverlust z. B.: aufgrund von Mitarbeiterfluktuation; oder durch Fehler beim Erfassen und Austausch von Informationen. Das spezifische Prozesswissen etwa muss im Betrieb verfügbar sein, unabhängig von der Verfügbarkeit einzelner Mitarbeiter.
Prozesswissen: Im Kern geht es darum, das Wissen der Organisation hinsichtlich vertrieblicher Besonderheiten, dem Geheimnis des Erfolgs bei der Rekrutierung von Hochschulabsolventen oder ganz profan der Argumentation der Rabattstaffeln u n a b h ä n g i g v o n P e r s o n e n in der Organisation verfügbar zu halten, zu planen und zu entwickeln. Schulungspläne und Stellenbeschreibungen sind n i c h t die Antwort auf die Normenforderungen zu ‚Wissen der Organisation‘.